Der Preisoptimierung für die Unternehmensleistungen (Produkte, Services, Software, Inhaltsangebote, Daten, etc.) sind wichtige unternehmerische Entscheidungen vorgelagert. Zum einen die Festlegung der Erlösquellen (Erlösmodell). Zum anderen die Definition des Kundennutzens als zentrale Säule des Geschäftsmodells.
Dies bedeutet: Professionelles Preismanagement muss über die reine Optimierung des Pricing-Prozesses hinaus auch die übergeordneten Entscheidungen zum Geschäftsmodell und zum Erlösmodell reflektieren. Diese Wechselwirkungen werden mit der zunehmenden Digitalisierung des Wirtschaftslebens immer wichtiger. So basiert die Preisoptimierung für E-Books im Falle von Amazon z. B. darauf, dass „Content“ und weniger die Hardware (z. B. das Lesegerät „Kindle“) als Kern des Geschäftsmodells definiert wird. Amazon möchte mit Geräten kein Geld verdienen. Profitable Erlöse sollen immer dann erzielt werden, wenn Kunden die Hardware (Fire Tablet, Smart Speaker oder Kindle) benutzen. Im Falle von Apple sind die Umsatz- und Gewinnanteile umgekehrt: Das iPhone generiert heute noch mehr als 60 % des Umsatzes. Digitale Services (wie Music- und Videostreaming oder Zahlungsdienste) machen nur einen Anteil von 16 % aus. Für das Apple-Pricing in Zukunft hoch relevant ist: Die Online-Services stellen den stärksten Wachstumstreiber beim Umsatz dar.
Digitalisierung ermöglicht neue Geschäftsmodelle, zusätzliche Erlösquellen, eine stärkere Einbindung von Kunden in Pricing-Prozesse, kreative Preismodelle, etc. Sie beeinflusst alle Aspekte des Preismanagements und ermöglicht Innovation über die einzelnen Stufen des Pricing-Prozesses hinweg. Recherchen zum Schlagwort „Digital Pricing“ zeigen aber: Digitales Preismanagement wird leider immer noch auf Themen wie „automatisierte Preisbildung“ oder das „Pricing für Online-Kanäle“ limitiert. Dies ist viel zu kurz gesprungen, wie ein Blick auf die zunehmend dynamischen Unternehmensbeispiele beweist. Denn die digitale Transformation von erfolgreichen B2B- und B2C-Unternehmen befeuert Innovationen auf allen drei verbundenen Ebenen: Bei Geschäftsmodellen, bei Erlösmodellen und über den Pricing-Prozess hinweg. Alle drei Dimensionen sind Gegenstand des Digital Pricing.
Dies gilt für die großen Technologiekonzerne (wie Amazon, Alphabet, Apple, Microsoft) genauso wie für Start-ups (Flixbus, Mobike, Waymo, etc.). Auch Industriefirmen, die sich den zukünftigen Herausforderungen mit innovativen digitalen Geschäftsmodellen stellen (wie Trumpf, Bosch und Siemens) bieten eine Fülle von Praxisbeispielen. Hitachi soll hier kurz skizziert werden: Das Unternehmen veränderte vor einigen Jahren die Architektur der Wertschöpfung („operating model“) in einem B2B-Geschäftsbereich. Neueste Sensortechnologien wurden in Zugsysteme integriert. Die neuen Messmethodiken erlaubten eine deutliche Verbesserung der Pünktlichkeitsrate der Züge (Value-to-Customer). Die Folge: Hitachi veränderte sein Erlösmodell. Züge wurden nicht mehr als Produkt verkauft. B2B-Kunden wird im Sinne eines „train-as-a-Service“-Konzeptes stattdessen der Service „Pünktlichkeit“ offeriert. Anders formuliert: Das Geschäftsmodell verschiebt sich vom „Verkauf von Produkten“ zum „Angebot von softwarebasierten Services“. Das Erlösmodell wechselt von Einmalzahlungen zu stetigen Zahlungsströmen. Und das Preismodell leitet sich daraus wie folgt ab: Je besser die Pünktlichkeitsrate, desto höher der Preis.
Der spanische Zugbetreiber AVE geht – basierend auf dem gleichen Wertschöpfungsansatz und Erlösmodell – im Pricing sogar noch einen Schritt weiter: AVE bietet den Reisenden für innerspanische Verbindungen eine Pünktlichkeitsgarantie. Wird das Leistungsversprechen verfehlt, erhält der Reisende den kompletten Kaufbetrag zurück. Beide Praxisbeispiele beziehen sich auf die Verknüpfung von Geschäfts-, Erlös- und Preismodellierung. Beim Preismodell geht es nicht um die Frage des Betrages, den der Kunde zahlt, sondern um die Bezugsgröße: Wofür, wie, wann und in welcher Form zahlt der Kunde? Weitere innovative Output orientierte Preismodelle haben u.a. Michelin (Autoreifen; „Preis per Kilometer“), Enercon (Windturbinen; „Preis pro Output/Kilowattstunde“), BASF (Autolacke; „Cost per unit“) und Schindler (Aufzüge; „Preis pro transportiertem Gewicht“) kreiert. In B2C-Märkten sind der Kreativität – basierend auf neuen Technologien wie AI – fast keine Grenzen mehr gesetzt. Als Beispiel sei das Preismodell „pay per smile“ (Theater in Barcelona) genannt. „Smile to pay“ wiederum geht auf die Idee von Tencent in China zurück, den Kundenprozess beim Einkauf durchgängig zu digitalisieren.
Als Zwischenfazit lässt sich festhalten: Die notwendige Grundlage der skizzierten 3-stufigen digitalen Transformation sind neue Technologien (Sensor-Technologie, Internet der Dinge, Cloud, Künstliche Intelligenz, etc.). Aber erst die tragfähige Kundenanforderung macht aus dem technologischen Potenzial eine Marktchance, die monetarisiert werden kann.
In der immer dynamischeren Digitalisierungslandschaft lassen sich folgende Zusammenhänge beobachten:
1. Digitale Pricing Ansätze wie z. B. „Dynamic Pricing“ alleine sind kein Garant für unternehmerischen Erfolg. Der Fahrdienstvermittler Uber – als einer der Protagonisten des dynamischen Pricing – macht seit Jahren Milliardenverluste. Der Uber-Wettbewerber Addison Lee hingegen geht einen komplett anderen Weg und differenziert sich über eine einfache Preispolitik. Die Philosophie des „each ride guarantees the same price“ lautet: Einfachheit und Berechenbarkeit für den Kunden („no negative surprise“). Mit diesem Preismodell hat Addison Lee einen USP aus Kundensicht kreieren können.
2. Auch wenn Subskriptionsmodelle in zahlreichen Industrien an Bedeutung gewinnen (Automobil, Airlines, Ride-Hailing, Bikesharing, etc.) gilt auch hier: Mietmodelle sind kein Garant für Gewinne, wenn das übergeordnete Geschäftsmodell nicht tragfähig ist. Beispiel Spotfiy: Weltmarktführer bei Musikstreamingdiensten; hoher Kundennutzen; sehr gute Kenntnis der Kundenanforderungen. Dennoch ist unklar, ob Spotify jemals profitabel sein wird. Das Geschäftsmodell der B2C-Plattform („Contentprovider für Musikstreaming“) basiert auf Inhalten, die von den Rechteinhabern (den Musiklabels) teuer eingekauft werden müssen. Daraus resultiert ein nicht tragfähiges Gewinnmodell, denn die Zahlungsbereitschaft der Nutzer für Streamingdienste geht im Schnitt nicht über die Preisschwelle von 10 Euro hinaus. Auch der wichtigste Wettbewerber „Apple Music“ arbeitet mit diesem Wertschöpfungsmodell und fordert denselben Preis. Im Gegensatz zu Spotify ist das Musikstreaming allerdings nur ein Baustein des Geschäftsmodells von Apple. Der digitale Dienst muss alleinstehend nicht zwingend profitabel sein.
Umgekehrt stellt sich die Situation bei Netflix (Videostreaming) dar: Profitabilität ist mit dem Preismodell und eigenen Inhalten gewährleistet. Allerdings fallen die Investitionen in eigene Contentangebote (zweistelliger Milliardenbetrag) so hoch aus, dass der Cash flow negativ ist (4 Mrd. $) und die Schuldenlast (mit über 8 Mrd. $) immer drückender wird. Zusätzlich stehen Netflix mit Amazon und Apple zwei profitable und cashflow-positive Konkurrenten gegenüber.
3. Digitalisierung bietet enorme Chancen zur Differenzierung im Pricing. Nicht über den Preisbetrag als solchen (Zähler der Preisformel). Sondern über das Preismodell (den „Nenner“ des Preises im mathematischen Sinne).
4. Alle erfolgreichen Preisstrategien basieren auf der klaren Ausrichtung an Kundenanforderungen. Dort, wo Preisbereitschaften und Kundenfeedbacks ignoriert werden, sind Probleme vorprogrammiert. Als Sixt vor Jahren mit einem Aufschlag für Langstrecken in Deutschland experimentierte, war der Aufschrei der B2B-Kunden groß. Sixt gab die Initiative auf. Die Begründung für das Kundenfeedback ist einfach: Systemwettbewerber wie Deutsche Bahn arbeiten mit Preisanreizen für längere Distanzen. Eine Abkehr von diesem gelernten Mechanismus wurde abgestraft.
5. Als aktuelles Beispiel für eine Vernachlässigung des Kundenfeedbacks lässt sich Apple nennen. Obschon lange offensichtlich war, dass die Luxuspreise des iPhone immer weniger akzeptiert werden, forcierte man die Strategie mit der neuen Modellserie (XS Max, XS und XR) noch. Mit dem Einsatz moderner Methoden („Social listening“, „Voice of Customer“-Analytics“) hätte man die massive Kritik der Kunden am Preis-Leistungs-Verhältnis erkennen können. Den „negative surprise“ in puncto Geschäftszahlen hätte man vermeiden können. Fakt ist: Die überaus hohe „Pricing Power“ von Apple hat zunächst einmal deutliche Einbußen erlitten.
6. Der „Apple shock“ ist – so extrem er auch ausfiel – kein Einzelfall. Fakten hierzu: 76 % aller Neuprodukteinführungen scheitern im Markt. Einen ähnlich hohen Fehlschlagwert identifizierte Simon-Kucher & Partners in einer Studie über Digitalisierungsaktivitäten. Die Begründung in beiden Fällen: Kundenanforderungen finden zu wenig Beachtung.
7. Wenn im Markt keine ausreichende Zahlungsbereitschaft vorhanden ist oder das Geschäftsmodell insgesamt nicht profitabel ist, lässt sich dies durch den besten Algorithmus nicht kompensieren. Tools, Methoden und automatisierte Pricingmechanismen sind wichtig, aber nur eine notwenige Bedingung. Erfolgreiches „Digitales Pricing“ startet mit einer Ausrichtung des Geschäftsmodells an Kundenbedürfnissen!
Zum Autor:
Mit Fragestellungen der Digitalisierung hat sich Frank Frohmann bereits Ende der 90er Jahre in Projekten für B2C- und B2B-Firmen beschäftigt. Der umfassende Erfahrungsschatz mit Digitalisierungs-Strategien und Preisoptimierungen basiert auf drei wesentlichen Tätigkeitsfeldern: Externe Unternehmensberatung (Simon-Kucher & Partners), operatives Preismanagement (Lufthansa; Cargo und Passage) sowie Inhouse-Consulting (u.a. Bosch). Sein Buch „Digitales Pricing“ wurde vom Springer Verlag im September 2018 veröffentlicht.