Begleiten Sie im fünfteiligen Fallbeispiel unseren Kunden XCHEM auf seinem Weg zur nachhaltigen EBIT-Steigerung. Zu Beginn stellen wir zunächst die Kundensegmentierung des Chemieherstellers auf eine neue Basis und richten diese an unseren strategischen Zielen aus.
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,
willkommen bei unserer neuen Reihe „Best of Roll & Pastuch“ bei der wir in loser Abfolge aus den verschiedenen Beratungsprojekten berichten wollen. So erhalten Sie aus erster Hand Einblick in unser Vorgehen und unsere methodischen Ansätze. Die Fallbeispiele sind vollständig anonymisiert, sodass wir auch im Detail in die Projektarbeit eintauchen können.
Unser erster Case befasst sich mit einem Projekt zur nachhaltigen Deckungsbeitragssteigerung bei einem Chemieunternehmen. Aus zahlreichen ähnlich gelagerten Projekten wissen wir, dass die Handlungsfelder auch in anderen Branchen von hoher Relevanz sein können.
In diesem Sinne laden wir Sie ein, in insgesamt 5 Ausgaben unserer „Best of Roll & Pastuch“ Reihe unseren Kunden und seinen Weg zur nachhaltigen EBIT-Steigerung kennenzulernen.
Ausgabe 1: Erarbeitung Kundensegmentierung
Ausgabe 2: Ableitung Normstrategien
Ausgabe 3: Strategisches Zielpreissystem
Ausgabe 4: Value Pricing für Innovationen
Ausgabe 5: Umsetzung im Markt
Einführung
Unser Kunde, nennen wir ihn zur Vereinfachung XCHEM, ist ein führender Hersteller in der Spezialchemie und sieht sich einem wachsenden Preisdruck durch die zunehmende Konsolidierung der Abnehmer in seiner Kernbranche ausgesetzt. Massive preisliche Verwerfungen zwischen Kunden und Produkten bergen ein erhebliches EBIT-Risiko im Fall von weiteren Fusionen oder länderübergreifenden Einkaufsinitiativen.
Der Vertrieb ist historisch bedingt stark auf die individuelle Betreuung der einzelnen Kunden ausgerichtet, eine übergeordnete Vertriebssteuerung nach Kundensegmenten erfolgt nicht. Häufig kommt es zu Konflikten mit anderen Unternehmensbereichen wie F&E und Customer Service, da kein gemeinsames Verständnis hinsichtlich der Kundenrelevanz und einer daraus ableitbaren Priorisierung in den Funktionsbereichen besteht.
Ziel der Zusammenarbeit mit Roll & Pastuch ist die Entwicklung einer strategischen Kundensegmentierung mit anschließender Ableitung von Normstrategien. Diese dienen zur Vertriebssteuerung, aber auch als Maßgabe zur Abstimmung mit den benachbarten Bereichen. In einem Folgeschritt soll aus der strategischen Kundensegmentierung auch das zukünftige Pricing systematisch differenziert werden. Durch profundes Value Pricing sollen zudem bisher noch verborgene Margenpotenziale identifiziert und gehoben werden.
Unsere erste Ausgabe der „Best of R&P“ Reihe befasst sich mit dem Vorgehen zur Herleitung der strategischen Kundensegmentierung.
Ausgangslage Kundensegmentierung
Durch die Spezialisierung unseres Kunden auf seine Kernbranche konnte über die Jahre eine hohe Durchdringung des Marktes erreicht werden. Gleichzeitig wuchs die Abhängigkeit von den spezifischen Marktbesonderheiten und vermeintlichen Schlüsselkunden. Hochspezialisierte Anwendungsingenieure haben Produkte speziell auf die Bedürfnisse „ihrer“ Kunden hin entwickelt und über die Zeit immer weiter ausgefeilt. Innovationen und Alleinstellungsmerkmale haben zu einer hohen Kundenbindung und wichtigen Wettbewerbsvorteilen gegenüber den Marktbegleitern geführt.
Gleichzeitig sind die Anforderungen an F&E und Customer Service immer weiter gewachsen. Naturgemäß begrenzte Ressourcen treffen auf vielfältige Anforderungen einzelner Kunden und den eigenen Anspruch zur systematischen Verfolgung der Entwicklungspipeline und Einhaltung von SLAs.
Eine systematische Allokation von Ressourcen erfolgt derweil nicht, auch weil es keinen gemeinsamen Maßstab zur Priorisierung von Kunden und Anfragen gibt. Lediglich für Statistik-Zwecke wird eine klassische ABC Klassifikation gepflegt, die aber nur sehr begrenzt die strategische Relevanz der Kunden reflektiert. So kommt es immer wieder zu Verwerfungen zwischen dem Vertrieb und benachbarten Bereichen, im Streit um begrenzte Ressourcen für die „eigenen“ Kunden.
Projektvorgehen Kundensegmentierung
Im Rahmen von verschiedenen Expertengesprächen und ersten gemeinsamen Workshops mit Branchenexperten von Roll & Pastuch wurde schnell klar, dass die Kundenloyalität ein ganz wesentlicher Treiber im Rahmen der zukünftigen Kundensegmentierung sein muss.
Durch die hohen, zum Teil kundenspezifischen Entwicklungsaufwände ist der Customer Lifetime Value aus Sicht von XCHEM stark von einer langfristigen Zusammenarbeit mit den einzelnen Kunden abhängig. Illoyale Kunden die häufig den Zulieferer wechseln generieren weit überproportionale F&E Kosten und blockieren wichtige Ressourcen bei der Weiterentwicklung der Product Pipeline.
Um zu verhindern, dass findige Vertriebsmitarbeiter zukünftig die Chance nutzen, über das Vehikel der vermeintlichen Kundenloyalität ihrer eigenen Klientel einen Vorteil zu verschaffen, galt es den Treiber weitgehend objektiv zu operationalisieren. Hierzu wurden verschiedene Thesen entwickelt und über Datenanalysen und weitere Expertengespräche bestätigt oder falsifiziert. Im Ergebnis konnte eine kompakte Anzahl von Faktoren festgehalten werden, die die Loyalität der Kunden bestmöglich erklären. Im Wesentlichen zählen hierzu die nachfolgenden Kriterien.
Nr. |
Kriterium zur Messung von Kundenloyalität |
1 | Share of Wallet – Anteil Einkaufsvolumen der über XCHEM bezogen wird |
2 | Dauer der bisherigen Zusammenarbeit in Jahren |
3 | Grad der Integration in die Wertschöpfungskette |
4 | Reklamationsverhalten |
5 | … |
Tabelle 1: Kriterien zur Messung von Kundenloyalität im Fallbeispiel XCHEM
Als zweite Dimension steht der generelle Kundenwert im Fokus. Dieser steht für sich und ist nicht von der Beziehung mit XCHEM abhängig, d.h. er wäre vergleichbar mit dem Kundenwert aus der Sicht eines ähnlich aufgestellten Wettbewerbers.
Auch hier erfolgte eine weitgehend objektive Operationalisierung durch das gemeinsame Projektteam. Der Kundenwert lässt sich im Kontext der XCHEM überwiegend durch folgende Variablen erklären.
Nr. |
Kriterium zur Messung des Kundenwertes |
1 | Umsatz im abgelaufenen Kalenderjahr |
2 | Profitabilität im abgelaufenen Kalenderjahr |
3 | Umsatzpotenzial |
4 | Rolle als Prestige-/Referenz-Kunde |
5 | … |
Tabelle 2: Kriterien zur Messung des Kundenwertes im Fallbeispiel XCHEM
Die erklärenden Variablen wurden gewichtet und alle Kunden entsprechend ihrer Eigenschaften klassifiziert. Über ein Scoring Verfahren wurde so für jeden Kunden ein Wert für Kundenloyalität und ein Maß für Kundenwert ermittelt. Beide Werte wurden auf eine Bandbreite von jeweils 1 bis 100 Punkten normiert.
Basierend auf den konsolidierten Werten konnten somit alle Kunden in die nachfolgende zweidimensionale Matrix eingeordnet werden.
Abbildung 1: Kundenklassifikation im Fallbeispiel XCHEM
Durch die übersichtliche Zuordnung in die neue Kundenmatrix wird es für das Management bereichsübergreifend möglich, den generellen Kundenwert, aber auch die Kundenloyalität auf einen Blick zu erfassen. Auf dieser Basis lassen sich Prioritäten setzen und belastbar zwischen den Funktionsbereichen abstimmen.
Um dies noch transparenter zu gestalten, wurden im nächsten Schritt Normstrategien und verbindliche Anwendungsfelder mit Vertrieb und den benachbarten Funktionsbereichen von XCHEM vereinbart.
Fazit & Lessons learned
Eine strategische Kundensegmentierung ist der Grundstein für jedwede Steuerung im Vertrieb. Ohne eine valide Segmentierung kann keine Priorisierung von Kunden und damit auch keine sinnvolle Abstimmung zur Allokation von Ressourcen erfolgen.
Die Anforderungen an die Segmentierungskriterien sind entsprechend hoch und im Einzelfall auf den Geschäftstyp und die Unternehmensstrategie abzustimmen. Eine weitgehend objektive Operationalisierung der Bewertungskriterien ist Voraussetzung für eine belastbare und auch außerhalb des Vertriebes akzeptierte Kundenklassifikation.
Wie wir die Kundensegmentierung im nächsten Schritt zur Ableitung von Normstrategien genutzt haben und in welchem Kontext diese heute Verwendung finden, erfahren Sie in der zweiten Ausgabe zum Thema von „Best of Roll & Pastuch“.