Angesichts des Booms im Online-Handel sehen sich stationäre Einzelhändler weiterhin der Herausforderung gegenüber, sich gegen die Konkurrenz aus dem Internet durchzusetzen. Viele Verbraucher bevorzugen es immer noch, Produkte im Fachhandel physisch zu prüfen, bevor sie sie online kaufen. Dieses „Showrooming“-Verhalten, gepaart mit aggressiven Online-Preisstrategien, hat stationäre Einzelhändler unter Druck gesetzt.
Hersteller hatten lange mit dem Problem gleicher Abgabepreise in On- und Offline-Kanälen zu kämpfen. Begründet mit dem Diskriminierungsverbot hat das Wettbewerbsrecht ihre Möglichkeiten, On- und Offline-Kunden preislich zu differenzieren, traditionell eingeschränkt.
Vor diesem Hintergrund war es Herstellern unter anderem verboten, Händlern je nach Verkaufskanal unterschiedliche Preise anzubieten. Der seinerzeit neue Online-Kanal sollte durch schlechtere Abgabepreise der Hersteller nicht diskriminiert und in seiner Entwicklung gehemmt werden.
Herausforderungen in der Praxis
In der Realität stellen diese Regelungen Hersteller vor Herausforderungen:
- Hohe Transparenz der Online-Preise und die Mechaniken der Online-Preisfolger machen auch aus einer Mücke einen Elefanten: Große Händler übernehmen aggressive Preise auch kleiner Händler – eine Abwärtsspirale wird so leicht angezettelt
- Der Online-Handel (Pure Player) hat häufig geringere Kosten als der stationäre Handel (siehe unten) und ist bei gleichen Einkaufspreisen in der Lage, günstigere Verkaufspreise anzubieten
- Sogenannte Hybridhändler haben zusätzlich zu ihren traditionell stationären Flächen den Online-Kanal ergänzt und profitieren häufig von hohen Rabatten der Hersteller (zum Beispiel für die hohe Vermarktungsleistung im stationären Kanal), die zu aggressivem Pricing im Online-Kanal führen können
- Hersteller durften gegenüber diesen hybriden Händlern nicht mit unterschiedlichen Abgabepreisen arbeiten, je nachdem, ob ein Produkt online oder stationär verkauft wird
Die Folge: Häufig sind es gerade die Hybridhändler, die durch ihr Pricing in ihren Online-Kanälen für Kettenreaktionen seitens der sehr großen Price-Follower (etwa Amazon) führen.
Neuerungen im Wettbewerbsrecht
Kürzlich eingeführte Änderungen im europäischen Wettbewerbsrecht führen zu neuen Möglichkeiten. Die Europäische Kommission signalisiert eine offenere Haltung gegenüber Doppelpreissystemen, die es Herstellern ermöglichen, Händlern je nach Verkauf von Produkten online oder stationär unterschiedliche Abgabepreise anzubieten.
Abbildung 1: Neue Rahmenbedingungen für die Preisgestaltung im Online- und Offline-Vertrieb
Die zugrunde liegende Argumentation für die Zulassung von Doppelpreissystemen liegt in den unterschiedlichen Kostenstrukturen im On- und Offline-Handel. Im stationären Einzelhandel fallen, anders als im Online-Handel, in der Regel zusätzliche Kosten für zum Beispiel Miete, Personal und Bestandsverwaltung an.
Der Kostenvorteil der Onliner hat dazu geführt, dass online günstigere Verkaufspreise als im stationären Handel möglich waren – das Diskriminierungsverbot der Kartellwächter hat zum Gegenteil geführt, nämlich der systematischen Diskriminierung des stationären Handels.
Wichtige Spielregeln für Doppelpreissysteme
Während Doppelpreissysteme neue Möglichkeiten für Hersteller und Einzelhändler bieten, ist es wichtig, die Spielregeln zu kennen:
Rechtfertigung des Preisunterschieds | Hersteller müssen in der Lage sein nachzuweisen, dass der Preisunterschied zwischen Online- und Offline-Kanälen die unterschiedlichen Kostenstrukturen je Kanal widerspiegelt – nur die Kostenunterschiede rechtfertigen die Preisunterschiede, nicht eine Bevorzugung einer der beiden Kanäle. |
Vermeidung wettbewerbswidriger Praktiken | Das Hauptziel von Doppelpreissystemen sollte es sein, den Wettbewerb zu fördern, nicht zu behindern. Übermäßige Preisunterschiede, die den Online-Verkauf für Einzelhändler unrentabel oder finanziell nicht tragbar machen, könnten als wettbewerbswidrig angesehen werden. |
Transparenz und Rechenschaft | Hersteller und Einzelhändler sollten klare Aufzeichnungen ihrer Preisstrategien führen, um die Einhaltung des Wettbewerbsrechts sicherzustellen. |
Flexibilität | Angesichts der dynamischen Natur des E-Commerce müssen Hersteller möglicherweise ihre Doppelpreissysteme im Laufe der Zeit anpassen, um sich an sich verändernde Marktbedingungen anzupassen. |
Ergebnisse eines Doppelpreissystems
Praktisch führt die Umsetzung eines Doppelpreissystems zu diesen Punkten:
- Hersteller definieren zwei unterschiedliche Abgabepreise für ihre Waren – einen Online-Preis, der über dem abweichenden Offline-Preis liegt. Je nach Kanal des Kunden wird der passende Preis genutzt – Online-Pure-Player erhalten die Waren zum Online-Abgabepreis, stationäre Puristen zum Offline-Abgabepreis.
- Die Preisdifferenzierung kann über Listenpreise (zwei Preise je Artikel) oder über Rabatte im Konditionensystem erfolgen. Ratsam ist, dass sich Hersteller mit ihrer IT unterhalten, welche Möglichkeiten das eingesetzte ERP bietet.
- Ganz neue Prozesse sind beim Verkauf an Hybridhändler zu definieren: Hier wird der Mix der on- zu offline verkauften Mengen erst nach dem Verkauf der Produkte durch den Hersteller evident. Das heißt, zur Ermittlung der gültigen Preise müssen Händler dem Hersteller nachweisen, welche Anteile des abgenommenen Volumens on- und welcher offline an die Kunden des Händlers verkauft wurden. Wohlgemerkt: Dies muss artikelscharf geschehen und erfordert auf beiden Seiten ein Umdenken und das Etablieren funktionierender Prozesse (betroffen sind Sales/ Einkauf, Controlling, Finance/ FiBu,…).
Abbildung 2: Praktische Umsetzung eines Doppelpreissystems
Die Einführung von Doppelpreissystemen stellt eine bedeutende Veränderung im Verhältnis zwischen Herstellern und Einzelhändlern dar. Durch die Möglichkeit für Hersteller, unterschiedliche Abgabepreise für Online- und Offline-Verkauf anzubieten, kann dieser neue Ansatz dazu beitragen, das Spielfeld zu nivellieren und ein nachhaltigeres Einzelhandelsumfeld zu fördern.
Die Umsetzung des Doppelpreissystems ist an durch Hersteller zu prüfende juristische Voraussetzungen geknüpft und birgt einige operative Klippen. Kommen Sie gerne auf uns zu.
Wir weisen abschließend darauf hin, dass Hersteller nach wie vor keinen Einfluss auf die Verkaufspreise der Händler ausüben. Vor der Umsetzung kartellrechtsrelevanter Themen sollten Sie sich juristisch beraten lassen – Prof. Roll & Pastuch erbringt keine Rechtsberatung.
Siehe auch:
Europäische Union (2022): Mitteilung der Kommission – Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen