Michael Fechner, Associate Partner bei Prof. Roll & Pastuch – Management Consultants, wirft einen Blick auf das Pricing aktueller Streaming-Dienste. Besonders das Remake des Disney-Klassikers Mulan und die damit verbundenen Vermarktungsstrategien haben seine Aufmerksamkeit geweckt.
Als Vater von Kita- und Grundschulkindern trifft man in der Corona-Zeit immer wieder auf spannende Pricing-Themen im Alltag. Auch die Nutzung von Streaming-Diensten ist hierbei keine Ausnahme.
Der im November 2019 gelaunchte Streaming-Dienst „Disney+“ hat es in unter einem Jahr geschafft, mit gutem Content, einem transparenten Angebot und einem Corona-Push eine unglaubliche Anzahl von Abonnenten zu gewinnen. Die bereits nach 10 Monaten (!) erreichten 60 Millionen (!) Kunden waren erst in mehreren Jahren erhofft.
Die Option zwischen Jahres- (69,99 Euro) oder Monatspreises (6,99 Euro) ist hierbei Pricing-technisch eher Standard. Die Bandbreite ist der von Amazon Prime (69,99 Euro jährlich, 7,99 Euro monatlich) nicht unähnlich. Auch der Streaming-Wettbewerber Netflix startet bei 7,99 Euro monatlich.
Hohe Streaming-Kosten von Mulan sorgen für Aufsehen
Nun freut sich Disney über die Unmengen an Abonnenten – aber es bleibt eine Herausforderung: Disney produziert natürlich auch aufwendige Kino-Filme und diese kosten erst einmal viel Geld. So soll das Remake des Klassikers „Mulan“ ca. 200 Millionen Dollar Produktionskosten mit sich bringen. Da Kinos gegenwärtig eher mit Hygienekonzepten und Insolvenzen in den Schlagzeilen stehen und als Vertriebskanal wegfallen, hat sich Disney dafür entschieden, seinen Film direkt und exklusiv seinen Abonnenten zu zeigen. Stolze 29,99 Dollar werden hierfür verlangt.
Zum ausbrechenden Shitstorm bei Nutzern (und Kinobetreibern) muss gesagt werden, dass viele Streaming-Dienstleister ein Basis-Abo für ihre Dienste veranschlagen und für besondere und/oder neue Filme zusätzlich Geld verlangen (zum Beispiel Amazon Prime). Das ist zunächst also weder neu noch revolutionär. Der Preis von 29,99 Dollar ist allerdings signifikant. Aber die echte Premiere eines potenziellen Blockbusters gab es bisher auch kaum (legal) zu streamen.
Ob Filmtheater oder Heimkino – für das Portemonnaie (einer Familie) kaum ein Unterschied
Uns Berater interessieren hier immer der Kundenwert und die Opportunitätskosten. Laut der Filmförderungsanstalt (FFA) lag der durchschnittliche Eintrittspreis in deutschen Kinos 2019 bei 8,63 Euro (je nach Kino, Uhrzeit, usw. kann dieser Wert deutlich schwanken).
Die Investition des Streamings vom Mulan-Remake ist also vergleichbar mit den Eintrittskarten für eine drei- bis vierköpfige Familie. Wenn man jetzt noch den durchschnittlichen Verzehr pro Ticket laut FFA von 4,91 Euro dazu rechnet, kommt man mit dem Streaming (als Familie) zu Hause günstiger davon. Das cineastische Vergnügen findet dann zwar auf dem Fernseher statt, dafür darf der Film aber auch so oft angesehen werden, wie man möchte. Sogar ohne dabei einen Mundschutz tragen zu müssen.
Streaming-Umsätze decken Produktionskosten problemlos
Summa summarum kann vom Verbraucher mit Popcorn und Getränken aus dem Supermarkt sogar eine leichte Ersparnis eingefahren werden. Dennoch ergibt sich ein enormer Einnahmehebel für Disney+. Wo bisher die Ticketumsätze geteilt werden mussten, gehen die Einnahmen nun in die Kasse des Studios.
Schafft es Disney+ nur 10 Prozent seiner Abonnenten von einem Kauf des Films zu überzeugen, wären mit den ca. 198 Millionen Dollar dessen Produktionskosten bereits gedeckt. Und natürlich ist davon auszugehen, dass der Film außerdem zu einem späteren Zeitpunkt in die Kinos kommt und auf anderen Plattformen verkauft wird.
Dass solche Streaming-Umsätze mehr als denkbar sind, zeigte sich als Universal im Corona Frühjahr 2020 in drei Wochen knapp 100 Mio. Dollar mit dem deutlich weniger bekannten Film „Trolls“ per Online-Verleih erlöste. Ein Change in der Vertriebskette ist also mehr als vorstellbar.
Streaming-Dienste für Film-Studios profitabler
Der wahre Umbruch liegt also weniger im Pricing für den Konsumenten als darin, dass den Kinobetreibern massiv Kundenmagneten entzogen werden. Für die Film-Studios ist ein eigener Streaming-Kunde deutlich profitabler als ein Kinogänger.
Und Kinos werden ihre Umsätze wohl auch nicht mehr über sündhaft teure „Spar-Menüs“ wie 10 Euro für Popcorn und Getränk wieder hereinholen können. Auch wenn sich die ersten Fürsprecher, beispielsweise Regisseure wie Kenneth Branagh oder Christopher Nolan für das klassische Kino erheben – es sieht eher düster für das Kino aus.
Dieses Wochenende gehe ich übrigens ins Freiluftkino, solange es die Corona-Regeln noch hergeben …
Quellen
- CNBC (2020): Disney has won the first stage of the streaming wars.
- FFA (2020a): Eintrittspreisentwicklung 2019.
- FFA (2020b): Kinobesucher 2019. Strukturen und Entwicklungen auf Basis des GfK-Panels.
- Spiegel-Online (2020a): „Ich glaube nicht, dass das Kino verschwinden wird“.
- Spiegel-Online (2020b): „Seit ich im Blockbuster-Geschäft bin, schwimme ich gegen den Strom“.